Weg der Schweiz: lasst uns geh‘n!

Weg der Schweiz: lasst uns geh‘n!

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Ich möchte raus, die Natur spüren! Die Woche war vollgepackt mit Arbeit und Terminen. Ich brauche Abwechslung und Raum für neue Gedanken. Der Himmel ist teilweise bewölkt, und Dunst liegt in der Luft. Egal! Ich schnappe meine Lederjacke, Sonnenbrille und Autoschlüssel. Es geht an einen Ort, den ich immer wieder gerne besuche: der Urnersee in der Innerschweiz, ein Seitenarm des Vierwaldstätter Sees. Dort führt der „Weg der Schweiz“ direkt am Ufer des Sees entlang.

Weg der Schweiz – das klingt schon toll! Der Überlieferung nach kam es vor etwa 700 Jahren am Urnersee zum berühmten Rütlischwur und damit zur Gründung der Schweiz, literarisch verfasst im Wilhelm Tell von Friedrich Schiller. Dem besonderen Ereignis hat die Schweiz einen eigenen Wanderweg gewidmet. Apropos Schwur: ich möchte beschwören, dass dieser Weg besonders schön und romantisch ist. Hier werden alle Sinne durch die ursprüngliche Landschaft und die Fülle der Natur bedient.

Berge im Dunst

An der Tellsplatte stelle ich mein Fahrzeug ab. Von dort führt ein Fussweg den Hang hinunter zum Seerestaurant mit Schiffstation. Der See liegt inmitten einer imposanten Berglandschaft. Auf der gegenüberliegenden Uferseite ragen steile Felswände in das Wasser. Die Berge wirken geheimnisvoll, denn Dunst und vereinzelte Wolken verhindern eine klare Sicht auf die fernen Gipfel. Durch die heftigen Schneefälle in diesem Winter sind die Berge immer noch schneebedeckt.

Sonne – die hat mir gefehlt! Nach einer Woche Büro fühlte ich mich schon fast wie der Graf von Monte Christo, der lange Zeit in düsterer Kerkerhaft verbringen musste, bis er durch eine spektakuläre Flucht wieder ins Freie kam. Meine Flucht in die Natur verläuft zum Glück angenehm. Am Bootsanleger neben dem Seerestaurant finde ich ein hübsches Plätzchen zum Entspannen. Die Holzplatten unter mir sind angeheizt durch die Sonnenstrahlen. Ich setze mich. Ein senkrechter Holzpfahl dient als Rücklehne.

Entspannung pur

Ich schliesse meine Augen und atme tief durch. Sonnenstrahlen wärmen meine Gesichtshaut. Der Wind streicht mir über die Wangen. Vom Ufer ertönt das Plätschern des Wassers. Es ist ein rhythmisches Geräusch, wie der Takt zu einer Musik. Ich spüre, wie die Natur mich berührt und immer mehr entspannt. Verweilen, ohne Eile…

Einfach mal nichts tun – voller Kontrast zu unserer vollgepackten Alltagswelt. Wenn wir unser Leben mit Terminen, Social Networks, Shopping oder auch Sorgen zupacken, dann werden wir auf die Dauer überreizt. Ein Leben ohne Pausen – das nagt an der Gesundheit. Darum gehe ich immer wieder „offline“, schalte von allem ab und nehme Zeit nur für mich. Es sind Momente, in denen ich Raum für mich schaffe, um zu entspannen, zu träumen und neue Ideen zu entwickeln. Dann blühe ich auf.

Weg der Schweiz

Der Weg der Schweiz lädt ein zu einer Wanderung entlang des Sees. Ich staune über die Farben des Frühlings: der blaue Himmel, das klare Wasser des Sees, das wie ein Kristall Türkis schimmert und das leuchtende Grün der Blätter. Dazu farblich abgestimmt, wächst am Wegesrand „Kriechender Günsel“ mit vielen kleinen blauen Blüten an langen Stängeln. Die Pflanze sieht nicht nur hübsch aus, sondern gilt als Heilkraut. Kräuterexperten nutzen sie für Tees oder Tinkturen. Angeblich wirkt sie beruhigend und entzündungshemmend.

Der schmale Pfad führt in ein Waldstück. Durch die filigranen Formen und variierenden Grüntöne des Blattwerks scheint der türkisfarbene Farbverlauf des Sees, der am Horizont durch eine scharfe Linie am Grau der Berghänge abschliesst. Der Kontrast von Formen und Farben dieses natürlichen Kunstwerks lässt Räumlichkeit wirken.

Der schmale Pfad führt in ein Waldstück. Durch die filigranen Formen und variierenden Grüntöne des Blattwerks scheint der türkisfarbene Farbverlauf des Sees, der am Horizont durch eine scharfe Linie am Grau der Berghänge abschliesst. Der Kontrast von Formen und Farben dieses natürlichen Kunstwerks lässt Räumlichkeit wirken.

Unter grossen Bäumen entdecke ich eine Sitzbank. Ich lege mich drauf. Je bequemer und witziger, desto besser! Pausen sind wichtig – das haben wir ja schon gelernt. Von meiner Liegebank aus geniesse ich die Natur und mache Entdeckungen. Direkt vor mir landet ein Marienkäfer auf der Bank. Es ist ein einheimischer, zu erkennen an den sieben Punkten auf seinem Rücken. Früher betrachteten die Bauern den hübschen Käfer als Segen des Himmels, da er ihre Ernte vor Schädlingen schützte. Zum Dank benannten sie ihn nach der Jungfrau Maria. Heute sieht das etwas anders aus. Findige Landwirte holten sich die aggressiveren asiatischen Kollegen des Marienkäfers zur Schädlingsbekämpfung in ihre Gewächshäuser. Die Tierchen büchsten aus, wurden zur Plage und bedrohen inzwischen sogar die hiesigen Käfer.

Das sonnige Wetter lockt auch die Eidechsen aus ihren Verstecken. Sie liegen auf Felsbrocken, Hölzern oder, wie die unweit von mir, auf Moosbüschen. Die Körperhaltung dieser Eidechse sagt alles aus – sie geniesst das Bad in den wärmenden Sonnenstrahlen. Eidechsen brauchen die Sonne, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Sie zu fotografieren, ist schwierig. Die kleinen Flitzer verschwinden sofort, wenn sie eine Bewegung wahrnehmen.

Mauereidechse räkelt sich in der Sonne

Im Kanton Uri gibt es zwei Eidechsenarten: die Mauer- und die Zauneidechse. Meine hier ist vermutlich eine Mauereidechse. Darauf deutet ihre zierliche Gestalt hin. Möglicherweise ist sie aus der Südschweiz oder Italien zugereist. Mauereidechsen kommen oft als blinde Passagiere mit dem Zug. Die Bahnstrecke in Richtung Tessin verläuft nicht weit entfernt oberhalb des Sees.

Kristallsee
Kristallsee

Das kristallklare Wasser lockt. Am liebsten würde ich hineinspringen. Doch lieber erst einmal anfühlen… Huch, ist das kalt! Vielleicht 16 oder 17 Grad, mehr auf keinen Fall. Das ist nur etwas für Hartgesottene. Ausserdem sind die Steine am Ufer kantig. Doch ein bisschen Planschen und Füsse abkühlen in der sanften Brandung ist nicht nur angenehm, sondern auch gesund. Seit Pfarrer Sebastian Kneipp ist ja bekannt, dass Wasseranwendungen vorbeugend gegen Erkrankungen wirken.

Irgendwann treibt mich die Neugier. Wie mag der Weg der Schweiz weitergehen? Ich packe meine Sachen und folge erneut dem Wanderpfad. Der Uferbereich wird schmaler, bis er verschwindet. Er macht Platz für eine Felswand, die steil abfällt und in grün schimmerndes Gewässer eintaucht. Die Strukturen des Gesteins liegen in einem steilen Winkel. Gewaltige Naturkräfte müssen vor Urzeiten diese Schichten aus Stein in eine Schräglage gepresst haben. Diese Kräfte schufen eine wilde, fjordartige Landschaft am Urnersee. Der Wanderweg schmiegt sich an die Felswand, um dann in einer Kehre dahinter zu verschwinden.

Entspannen und genießen am Wasser: Sonnenbrille auf, den Brandungswellen lauschen und die Blicke über den See schweifen lassen bis in die Höhen der fernen Berggipfel. Träumen am See ist Meditation. Wunderschön!

Urige Felswand

Die Natur sucht sich ihren Weg. So hat sich ein filigranes Felsenblümchen mit zahlreichen blauvioletten Blüten auf einem der kahlen Brocken festgekrallt. Meine Kenntnisse in Botanik sind nicht die besten. Eine Recherche ergibt: das hübsche Blümchen vor mir könnte ein Berg-Sandglöckchen sein. Darauf muss man erstmal kommen.

Die Landschaft überrascht mit Abwechslung. Hinter der Kehre gewinnt der Weg an Steigung und führt in ein Waldstück. Große Felsbrocken und Gesteinsschichten sind mit Moosen überzogen und Farnen durchsetzt – märchenhaft. Es zieht mich tiefer in den Wald.

Licht der Wellenlängen 520 bis 565 Nanometer nehmen wir als „grün“ wahr. Das klingt ziemlich nüchtern. Doch ein schönes Grün macht viel mehr mit uns: es wirkt belebend und beruhigend zugleich. Hier im frühlingshaften Wald wird klar, warum das so ist. Alles spriesst: die Blätter sind jung, frisch, füllig und leuchten in allen Grüntönen. Der Wald ist voller Leben. Von diese Lebendigkeit lassen wir uns gerne anstecken und gewinnen so neue Energie.

Der Weg der Schweiz führt weiter in die Höhe, vorbei an farbigen Felsen. Die Blätter spielen mit den Sonnenstrahlen und erzeugen Licht- und Schattenmuster auf den Steinen, die sich ständig ändern. Ich halte inne und verfolge für eine Weile das Lichtspiel.

Schließlich erreicht der Weg eine Kuppe. Die Bäume sind lichter geworden. Mehr Sonne dringt durch, und das spüre ich auf meiner Haut. Es wird angenehm warm. Eine Holztreppe führt wieder bergab. Durch das Geäst dringt der türkisblaue Schein des Sees.

(K)ein Holzweg

Unten angekommen, erwartet mich ein wunderbarer Blick auf die Fortsetzung des Seeufers. Nicht mehr weit entfernt liegt das Dorf Sisikon und dahinter der 1900 Meter hohe Fronalpstock – auch ein schönes Wanderziel. Wem die Bergwanderung zu anstrengend ist, der nimmt die Seilbahn. Es lohnt sich. Von oben hat man eine grandiose Aussicht auf die vielen Seen und Berge der Innerschweiz.

Auch der Weg der Schweiz hätte noch viel zu bieten. Wir sind nur eine von acht Teilstrecken gegangen, und die nicht einmal vollständig. Doch ich finde, es kommt nicht so sehr darauf an, wie weit man geht, ob man ein bestimmtes Ziel erreicht oder alle Strecken abläuft. Das wäre Wandern nach Checkliste. Viel wichtiger erscheint es mir, abschalten zu können und inspiriert zu werden. Meistens sind es die kleinen unerwarteten Dinge, die dann zum Vorschein treten, wenn man sich Zeit lässt und aufmerksam durch die Natur geht. Das ist meine kleine Wegmeditation, die ich jedem empfehle.

Blick auf Sisikon und Fronalpstock
Blick auf Sisikon und Fronalpstock

Eine Wanderung an einem sonnigen Frühlingstag, ganz egal wo, wirkt besser als jeder Energydrink. Die erfrischenden Bilder prägen sich ein und wirken lange nach. Und so male ich mir aus, dass selbst dieser Bericht über schöne Frühlingsmomente am Urnersee das Gemüt aufleben lässt und Lust macht, auf Wanderschaft zu gehen – und wenn es nur für einen Augenblick in der Phantasie geschieht.

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