Wenn das Wetter mit unserem Befinden Achterbahn fährt

Wenn das Wetter mit unserem Befinden Achterbahn fährt

Facebook
Twitter
Pinterest
LinkedIn
WhatsApp
Email

Gestern Vormittag schneite es, in der Nacht hat der Sturm an den Rollläden gerüttelt, heute schnellen die Temperaturen auf 16 Grad hoch, und gegen Mitte der Woche erwarten die Meteorologen schon wieder Schlackerwetter. Es ist der 21. Februar 2016, und es steht bereits fest: dieser Winter ist kein Winter. Es ist ungewöhnlich mild, das Wetter fährt seit Wochen Achterbahn. Viele Menschen nervt es und manche leiden sogar darunter. Die Notarztwagen sind auffällig oft im Einsatz. Das Wetter macht mit uns mehr als wir es erahnen.

Bei Föhn wirken die Alpen am Zürichsee grösser

Alle Wetter!

Dieser 21. Februar 2016 ist ein außergewöhnlicher Tag. In nur wenigen Stunden hat der Wind die Wolken am Himmel vertrieben. Übrig geblieben sind einige dünne Zirren, und die Sonne scheint kräftig wie im Frühling. Hinter dem Zürichsee zeigen sich die schneebedeckten Alpen in voller Pracht. Die klare Luft wirkt wie ein Vergrößerungsglas und lässt die Berge grösser erscheinen als sonst. Es herrscht Föhn – ein warmer, trockener Wind, der über die Gebirgskämme in die davor liegenden Täler hinabfällt. Viele Menschen nutzen das schöne Wetter, ziehen an den See und flanieren entlang der Uferpromenade. Frühlingsgefühle und gute Laune kommen auf.

Was bei dieser Wetterlage jedoch auch geschieht: der sonst gelassene Autofahrer wird zum Verkehrsrowdy, die sonst freundliche Kollegin vergreift sich plötzlich im Ton und die „Kiddies“ machen Chaos im Klassenzimmer. Der Föhn bringt die Leute in einen „Rausch“ und ruft Aggressivität, Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme oder andere Beschwerden hervor.

Das Wetter hat es offenbar in sich. Seine Zutaten sind unter Umständen reichhaltiger als wir es aus den üblichen Wetternachrichten kennen. Neben Sonne, Temperatur, Niederschlag, Luftdruck und Wind nehmen auch Luftfeuchtigkeit, Luftionisation, Luftelektrizität, Ozon, Pollenflug und Luftverschmutzung Einfluss. Wetter ist also ein komplexer Mix aus vielen Eigenschaften mit zum Teil positiven und auch negativen Wirkungen auf den Menschen.

In unseren Breiten wird das Wetter von durchziehenden Tiefdruckwirbeln geprägt, die an der Polarregion entstehen und in kürzester Zeit Wetterwechsel verursachen können. Kräftige Wetterstörungen sind mit heftigen Luftdruckschwankungen, ionisierten Luftschichten oder elektromagnetischen Entladungen verbunden.

Die das Wetter fühlen

„Ich spüre Windwetter drei Tage im Voraus in meiner Hüfte. Die schmerzt dann“, erklärt mir Dorothea Gruber aus Derenburg. Mit der Präzision eines meteorologischen Frühwarnsystems kann sie Stürme am nahegelegenen Brocken im Harz vorhersagen. Wie ist das möglich? Medizinmeteorologen nehmen solche Aussagen ernst. Vielleicht sind niederfrequenten Schwankungen in der Atmosphäre, sogenannte Schwerewellen, oder elektromagnetische Entladungen durch Wetterfronten die Ursache. Die Wissenschaftler rätseln noch.

Das Phänomen der Wetterfühligkeit ist seit langem bekannt. So wusste schon der griechische Arzt Hippokrates um 400 vor Christus: „bei Wetterwechsel heißt es, auf der zu Hut sein und Aderlass oder Operationen zu vermeiden“. Er prüfte bei Krankheiten immer auch die Wetterumstände. Aus heutiger Sicht war er ein Vorreiter der  Medizinmeteorologie. Auch der Dichter Johann Wolfgang von Goethe wurde oft durch seine Wetterfühligkeit gepiesakt. Goethe war ein guter Beobachter, erkannte die Ursachen und therapierte sich schließlich selbst. Er schrieb in einem Brief: „So arbeite ich bei hohem Barometerstand leichter als bei tiefem; da ich nun dies weiß, so suche ich bei tiefem Barometerstand durch größere Anstrengungen die nachteiligen Einwirkungen aufzuheben, und es gelingt mir.“

Studien zufolge sind etwa 50% aller Menschen auf irgendeine Weise wetterfühlig. In den meisten Fällen leidet das Befinden. Man ist fühlt sich müde, antriebslos oder nervös. Nichts macht mehr wirklich Freude. Das würde eigentlich schon reichen, doch es kann noch schlimmer kommen. Viele Menschen klagen über Migräne, Kreislaufprobleme, Schlafstörungen, rheumatische Beschwerden oder Schmerzen an Gelenken, alten Wunden oder Zähnen.

Wenn Wetter wehtut

Holly schreibt am 27.4.2010 auf dem Webportal gutefrage.de: „Seit meinem Schlaganfall leide ich unter starker Wetterfühligkeit, die sich bei mir so äußert, dass ich jeden Wetterumschwung ein, zwei Tage vorher durch erhöhte Spastik und stärkere Schmerzen wahrnehme…“ Hollys Krankheit hat ihre Wetterfühligkeit verstärkt. Ähnlich ist es bei Hans-Joachim, der schon seit Jahren unter Multiple Sklerose (MS) leidet. Eine schwere Begleiterscheinung der MS ist die Spastik, eine erhöhte Steifheit der Muskeln, die zu Verkrampfungen und Schmerzen führt. Wenn sich das Wetter ändert, nimmt bei Hans-Joachim die Spastik in Beinen und Armen deutlich zu, so dass er Gegenstände nicht mehr greifen oder Tasten nicht bedienen kann. Das letzte bisschen Eigenständigkeit wird so noch weiter eingeschränkt. Das ist sehr frustrierend.

Wie Holly und Hans-Joachim, gibt es zahlreiche Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankungen besonders sensitiv auf Wetteränderungen reagieren. Dazu gehören Menschen mit Bluthochdruck, Rheuma oder Atemproblemen. Krankheiten machen den Organismus labiler. Damit fällt es ihm bedeutend schwerer, mit Veränderungen von Temperatur, Luftdruck und womöglich sogar auf elektromagnetische Entladungen in der Atmosphäre fertig zu werden.

„Reizendes“ Wetter

Das Wetter wirkt mit seinen Umwelteinflüssen auf den menschlichen Organismus. Über Augen, Ohren, Nase und Haut nehmen wir die Reize des Wetters wahr. Die Nervenzellen empfangen Umweltinformationen als Signale und leiten diese elektrisch und biochemisch über Nervenzellen und das zentrale Nervensystem weiter bis zur Informations- und Schaltzentrale, dem Großhirn. Hier werden die Informationen aus der Umwelt verarbeitet und entsprechende Reaktionen ausgelöst.

Föhn in den Bergen
Föhn in den Bergen

Das vegetative Nervensystem spielt eine besondere Rolle, da es völlig autonom lebenswichtige Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung, Kreislauf, Körpertemperatur oder Stoffwechsel steuert und „im Gleichgewicht“ hält. Ein Wetterwechsel stresst den Organismus, da veränderte Umweltwerte das vegetative Nervensystem veranlassen, die Körperfunktionen zu regulieren und den neuen Bedingungen anzupassen. Je stärker und kurzfristiger der Wetterwechsel ist, umso schwerer wird der Organismus dadurch belastet.

Unser Körper läuft wie ein Betriebssystem mit gewissen Standardeinstellungen. Zum Beispiel liegt die normale Körpertemperatur zwischen 36.3 und 37.4 Grad Celsius. Wenn die Außentemperatur ansteigt oder sinkt, wird dies vom vegetativen Nervensystem registriert. Es veranlasst im Körper automatisch Reaktionen, um die Normaltemperatur zu halten. Bei erhöhter Außentemperatur beginnen wir zu schwitzen, damit die Körpertemperatur etwas absinkt. Umgekehrt, wenn die Außentemperatur sinkt, werden unsere Hände und Füße schnell kalt. Durch die Kälte ziehen sich die Blutgefäße zusammen, so dass die Gliedmaßen schlechter durchblutet werden. Die Finger und Zehen fühlen sich dann wie taub an. Nimmt die Durchblutung wieder zu, so kehrt auch das Empfinden in Fingern und Zehen zurück – zunächst als Kribbeln, dann wie feine Nadelstiche. Das vegetative Nervensystem hält durch die Regulierung die innere Körpertemperatur aufrecht. In ähnlicher Weise werden auch Luftdruckänderungen in Körper und Kopf ausgeglichen. Ärzte vermuten, dass Kopfschmerzen durch Wetteränderungen entstehen, wenn die Blutgefäße den Spannungszustand der Gefäßmuskeln im Kopf nicht schnell genug anpassen.

Virtuose Abendstimmung bei Wetterwechsel

Wetterbeschwerden deuten

Ist unsere körperliche Selbstregulierung in Ordnung, bekommen wir von dem Ausgleich der Wetterreize nichts mit. Anders sieht es aber aus, wenn der Mensch aufgrund seines labilen vegetativen Nervensystems oder durch Krankheit geschwächt ist. Dann wird das Wetter zu dem Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Kopfschmerzen, Gereiztheit, Herz- und Kreislaufbeschwerden können die Folge sein. Das verdeutlicht der Fall von Holly. Sie schreibt am 27.4.2010 auf dem Webportal gutefrage.de: „Seit meinem Schlaganfall leide ich unter starker Wetterfühligkeit, die sich bei mir so äußert, dass ich jeden Wetterumschwung ein, zwei Tage vorher durch erhöhte Spastik und stärkere Schmerzen wahrnehme.“

Medizinmeteorologische Untersuchungen, die mit einem Persönlichkeitstest gekoppelt wurden, haben außerdem ergeben, dass labile Menschen mit pessimistischer Grundeinstellung weitaus öfter mit dem Wetter zu kämpfen haben als ihre selbstbewussten, ausgeglichenen Mitmenschen. Eine negative Reaktion auf das Wetter gibt einen Hinweis darauf, dass irgendwo im Körper etwas nicht stimmt. Wer also nicht schon zuvor wetterfühlig war und wetterbedingte Beschwerden feststellt, sollte seine Gesundheit gut beobachten und im Zweifel den Arzt aufsuchen.

Es braut sich etwas zusammen

Vorsicht Blaulicht

Blaulicht eingeschaltet und ab auf die Piste. Wenn das Wetter Achterbahn fährt, so wie in diesem Winter, haben die Notarztwagen verstärkten Einsatz. Der ständige Wetterwechsel, insbesondere Schlechtwetterfronten, beanspruchen Blutdruck und Kreislauf. Das Risiko von Embolien, Koliken, Schlaganfälle und Thrombosen nimmt zu. Betroffenen Menschen ist es oft nicht bewusst, wie sehr wechselhaftes Wetter ihren Körper beansprucht. Wer jedoch die Wettervorhersagen aufmerksam verfolgt, kann sich auf Blaulichtwetter durch eine kleine Gesundheitsstrategie vorbereiten, also rechtzeitig sein Arbeitspensum reduzieren und mehr entspannen.

Claudia Kleinert mit dem Gesundheitswetter

Seit 2012 moderiert Claudia Kleinert mit Charme „Das Wetter im Ersten“ in der ARD: „Guten Abend und herzlich willkommen zum Wetter. Die nächsten Tage wird’s nochmal richtig winterlich bei uns. Unangenehmes Wetter steht uns bevor. Heute dagegen nochmal frühlingshaft mit viel Sonnenschein im Süden, bevor aus Westen kompakte Wolken hereindrücken.“ Sie berichtet über die Temperaturen, Sonne, Windströmungen und Luftfeuchtigkeit. „Da wo warme und feuchte Luft aufeinander treffen, da kann das zu heftigen Schneefällen führen.“ Es folgen Informationen zu Schneefall und Glättegefahr. Damit endet der übliche Wetterbericht. Doch ist es nicht längst an der Zeit, die Meldungen für wetterfühlige Menschen zu ergänzen?

Claudia Kleinert wäre sicherlich dabei und würde das Biowetter einfühlsam präsentieren: „Wer wetterfühlig ist oder Blutdruckprobleme hat, sollte sich auf den nahenden Kälteeinbruch einstellen. Unser Körper muss sich der Wetterveränderung anpassen. Das kostet Kraft. Darum leiden dann viele Menschen an Kopfschmerzen, Unwohlsein oder Schwindelgefühlen. Wer an Atemwegs- und Rheumabeschwerden hat, sollte sich auf jeden Fall warm anziehen und den Schal nicht vergessen. Menschen mit Blutdruck- und Kreislaufproblemen sollten besonders achtgeben. Grundsätzlich gilt: gesund essen, genug trinken, spazieren gehen und etwas mehr Ruhe – damit kommen wir alle besser durch den Wetterwechsel.“

Treffpunkt-Diskussion „Wenn das Wetter mit unserem Befinden Achterbahn fährt“

Das Wetter in diesem Winter 2015/16 ist auf Zick-zack-Kurs und die viele Menschen bekommen das spüren. Die Spanne der Beschwerden geht von einfachen Kopfschmerzen bis hin zu starken körperlichen Einschränkungen, Schmerzen oder gar Schlaganfällen. Was macht das Wetter mit uns, und wir können wir damit besser umgehen? Dazu diskutieren wir hier die brennenden Fragen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert