„Der lieben Sonne flog kundschaftend die Dämmerung voraus und sah das Bent voll wechselnder Gestalten, die nebelgeboren wogten und wallten in seltsamen Reigen. Im Geäst der Tannen hockte das Grauen und winkte den Schemen mit fleischlosen Armen und nickte mit wackelndem Kopfe den Takt.“
Schaurig schöne Natur beobachtete Bruno Wittenstein, als er um 1910 in den frühen Morgenstunden das Hochmoor Hiddeser Bent in der Nähe von Detmold durchwatete. Aus dem dunklen Wasser des Moors stiegen Nebelschleier auf, formten sich lautlos zu zarten Figuren, die sich drehten und tanzten, um dann wieder zu verschwinden. Damals war es nicht einfach, das Moor zu durchqueren. Bruno Wittenstein kämpfte sich durch den zähen Morast und hatte offenbar Freude daran. Er schrieb: „Durch schleppend Riedgras zieht ihr matt die Füße, es gluckt der Sumpf, die Binsen rascheln, und brodelnd hält Euch der Schlamm mit zähen Händen…“ Als Künstler und Naturfreund spürte Bruno Wittenstein die außergewöhnliche Umgebung mit all seinen Sinnen und beschreibt seine Eindrücke detailverliebt – eine gute Übung für jeden Menschen, der seine eigenen Empfindungen und kreativen Kräfte entdecken und entwickeln möchte.
Naturlandschaft mit Hochmoor und Wunderwald
Das Hiddeser Bent ist eine einzigartige Landschaft und zugleich das letzte noch lebende Hangmoor im Teutoburger Wald. Für Menschen ist das Gebiet weitgehend unzugänglich und bleibt daher zum Glück für die Natur unberührt. Aufgrund der besonderen Eigenschaften des Moores – Nährstoffarmut, niedriger pH-Wert und permanente Nässe – finden hier einige hochspezialisierte, seltene Tier- und Pflanzenarten ihren Lebensraum. Fachleute erklären, dass dieses Moor während der Mittelsteinzeit vor etwa 9000 Jahren entstand! Durch das lokale Klima am Ehberg mit Steigungsregen und kalter Luft in der Senke siedelten sich Torfmoose an. Im Laufe der Zeit wuchs eine zwei Meter dicke Torfschicht heran. Ab dem 16. Jahrhundert griff der Mensch in diese urwüchsige Landschaft ein. Das Moor wurde trockengelegt und der Torf als Brennstoff abgestochen. So sind von den einst 90 Hektar im 18. Jahrhundert heute nur noch 2.6 Hektar übriggeblieben. 1950 wurde dieser verbliebene Rest des Hiddeser Bent gerade noch rechtzeitig unter Naturschutz gestellt.
„Da, wo die Wasser spiegeln können, malt sich der Wälder, der Berge Abbild in der schwarzen Flut, und seufzend biegt sich darüber eine krause Weide… hier möchtet ihr verweilen, doch bis der Tag zur Ruhe geht, gibt’s noch genug zu schauen in diesem Wunderwald; drum weiter!…“, motiviert der Maler Bruno Wittenstein. Sein Weg führte ihn vom Bent entlang des Hasselbachs. In der Nähe des Moors ist das klare Wasser des Bachs auch heute teebraun gefärbt. Das geschieht durch Humin- und Fulvosäuren, die von Totholz, Torf und Laub abgegeben werden. Das Wasser zieht seicht über ein Bett aus feinstem weißen Sand, der aus dem hohen Norden stammt. Während der Eiszeit vor etwa 200.000 Jahren ragten gewaltige Gletscher von Skandinavien bis zum Teutoburger Wald! Als die Gletscher wieder verschwanden, hinterließen sie Dünen aus Sand und Felsbrocken, die heute als Findlinge in den Wäldern verstreut liegen. Das Gelände war zu Wittensteins Zeit noch ursprünglicher und unzugänglicher als heute. Er schrieb über den Hasselbach, „der schnellen Laufs bergabwärts zieht, verborgen in undurchdringlichem Gebüsch von Erlen und anderen wohlvertrauten Bäumen.“
Bruno Wittenstein liebte den naturbelassenen Wald in seiner Vielfalt. Er thematisierte ihn immer wieder in seinen Gemälden und beschrieb ihn wie einen lebendigen Organismus:
„Über uns rauscht in all seiner Frische, in all seiner vielfarbigen und vielförmigen Mannigfaltigkeit der Wald, der sich selbst gesät, der seinen Wurzeln selbst die Kraft verleiht, sich zu ernähren.“
Und wer durch den urigen Wald am Hiddeser Bent oder durch ähnliche ursprüngliche Wälder wandert, kann Bruno Wittensteins Beschreibungen nachempfinden.
Donoper Teich - See der Ruhe
Eine romantische Szene in der Natur, eingerahmt von kräftigen Bäumen – das haben mehrere Naturgemälde von Bruno Wittenstein gemeinsam. Es ist ein Ausdruck der tiefen Gefühle und Wertschätzung, die die Natur in dem Maler auslösten. Über den Wald im Naturschutzgebiet sagte er: „In solchem Forst entstanden unsere Märchen.“ So lohnt es sich, dem Maler auf seinem Weg entlang des Hasselbachs weiter zu folgen, bis das Wasser in einen geheimnisvollen See mündet, „in einen See, der immer in gleicher Ruhe liegt. Nicht eben groß ist dieser See, man hat ihn deshalb auch nur Teich, Donoper Teich, genannt; doch grundlos tief, so sagt die fromme Sage, soll er sein.“
Was machte Bruno Wittenstein an diesem romantischen Ort? Genau das, was viele andere Naturfreunde heute auch tun: sich eine hübsche Ecke suchen, hinsetzen und der Phantasie freien Lauf lassen. Nicht nur Kinder hatten an seinen Gedanken Freude. Wittenstein beschriebt einen Tagtraum, in dem Elfen die Knospe einer weißen Seerose umtanzen, bis sich diese Knospe öffnet und daraus eine zierliche Lichtgestalt entsteigt, die dann mit Zauberhand schöne und seltene Pflanzen im Forst sprießen lässt.
Märchenwald im Industriezeitalter
Infolge der zunehmenden Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts zog es immer mehr Menschen in die Idylle von Hiddeser Bent und Donoper Teich, um sich zu erholen. Zudem wurde der ursprüngliche Forst für die wirtschaftliche Nutzung zunehmend verändert. Einst durchmischte Wälder mussten Monokulturen aus Fichten weichen. Schrittweise begannen die alten, charaktervollen Waldbilder zu verschwinden. Das führte wiederum dazu, dass sich die Naturfreunde gegen diesen Trend formierten. 1908 wurde der Lippische Bund für Heimatschutz und Heimatpflege gegründet, der Vorläufer des heutigen Lippischen Heimatbunds. Der Bund setzte sich für den Erhalt des Charakters von Landschaft und Vegetation ein, jedoch mit Schwierigkeiten.
1911 sah Bruno Wittenstein seinen geliebten Wunderwald durch die damaligen Entwicklungen bedroht und trat dem Bund bei. Er mahnte eindringlich, dass nur ein ursprünglicher Wald tiefes Gefühl erwecken kann und durch den menschlichen Eingriff das Ursprüngliche geopfert wird: „Wann wird ein Forst, gebildet aus einer einzigen Baumart, die in wohlgemessenem Abstand durch ihn hindurchmarschiert, wann wird ein solcher Forst in frommem Schauder das Herz erzittern lassen – der Eindruck von Menschenwillkür, den abzuschütteln wir nicht vermögen, tötet leicht das tiefere Gefühl… Und doch wird leider immer mehr Ursprüngliches geopfert, nicht nur im Forst – und hätten Männer von idealem Sinne nicht, fast mit Gewalt, Natur von manchem Orte geschützt, soweit sie konnten: von Heide und Moor wär‘ bald nichts mehr zu finden, selbst Berge wären restlos abgebrochen; und der urwüchs‘ge Wald, entweder wär‘ er überhaupt verschwunden oder durch Tannenpflanzungssurrogat ersetzt… Auch Lippe, so vieles an Natur hier noch erhalten ist, büßt mehr und mehr an Schönheitswerten ein in allzuwilliger Abhängigkeit von der Herrschaft eines teils notwendigen, teils niederen Nutzungsgrundsatzes… aber preisen will ich, dass das seltenste, das wir haben, dass der von Hiddesen und vom Donoper Teich berührte Forst wahrscheinlich urwüchsig und unverbildet bleibt.“
Erfreulicherweise hat sich Wittensteins Hoffnung bewahrheitet. Doch es war tatsächlich viel Glück im Spiel. Das Gebiet Hiddeser Bent und Donoper Teich war mehrfach gefährdet. Insbesondere das Hochmoor war schwer zu schützen, galt es doch als „unnütz“. Es wurde um 1920 sogar in Erwägung gezogen, ein Siedlungsgebiet daraus zu machen. Seither lief das Ping-Pong-Spiel zwischen Behörden und Naturfreunden um Nutzung oder Erhalt des Geländes, bis es 1950 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Und dennoch ließ es sich nicht vermeiden, dass um 1960 Heideflächen aufgeforstet und fremde Baumsorten eingeführt wurden. Zudem stieg die Zahl der Erholungssuchenden auf ein Maß, das zur Belastung des Naturschutzgebiets wurde. Die Umweltschützer mussten immer wieder korrigierend eingreifen. Nur ihrem beherzten Engagement ist es zu verdanken, dass wir Hiddeser Bent und Donoper Teich auch heute noch in ihrer ursprünglichen Schönheit erleben und genießen können.
Moor und Klimawandel
Die Sommer in den letzten Jahren bescherten uns Hitze und Wasserknappheit. Der Klimawandel wird zur spürbaren Realität. Ein Moor ist ein empfindliches Ökosystem und steht im Wechselspiel mit seiner Umwelt und dem Klima. Für Hochmoore ist der Regen die einzige Wasserquelle. Solange genügend Wasser vorhanden ist, wirken die torfbildende Moose intakt und entziehen der Atmosphäre kontinuierlich das Treibhausgas Kohlendioxid. Die Bakterien im Moor, die Methan oder Lachgas freisetzen können, verhalten sich dabei weitgehend klimaneutral. Wenn es hingegen zu wenig regnet, verliert das Moor an Wasser, wodurch die Balance dieses Ökosystems leicht gestört werden kann. Damit gingen nicht nur die klimaschützenden Eigenschaften des Moores verloren, sondern womöglich auch die spezialisierten Arten, die hier leben. Die Balance in unseren Mooren ist ein wichtiger Indikator dafür, ob unsere Umwelt noch intakt ist.
Bruno Wittenstein war ein bescheidener, gebildeter und sensibler Mensch. Er hatte die Gabe, Menschen mit seinen Texten und Gemälden emotionell zu erreichen und ihnen eine Botschaft glaubhaft zu vermitteln – eine Botschaft, die auch heutzutage noch aktuell ist: „…und jubeln will ich, wenn die Kunde wahr ist, dass der gleiche Grund, der bisher noch die Behörden dazu brachte, die jungen Wälder in einer einzigen Holzart anzulegen, sie jetzt dem Mischwald wieder den Vorzug geben lässt, da er von Sturm und Ungeziefer nicht in dem Masse leiden soll, wie jene. Ähnlicher würde dann im ganzen Forst die Vegetation der, die zwischen Ehberg und Weginghauser Bruch das Auge erfreut, wo die verschiedenartigsten Bäume und Pflanzen zu einer großen Gemeinschaft sich zusammenschlossen, der man ein Einzelglied nicht leicht entreißen kann.“ Die Message ist klar: Diversität und Ursprünglichkeit schützen den Wald im Gegensatz zu Monokulturen.
Abendglühen über dem Donoper Teich
Wittenstein mahnte nicht nur, sondern warb für einen umsichtigen Umgang mit der Natur, indem er Menschen in lyrisch anmutenden Erlebnisberichten und Gemälden die Natur näherbrachte. Seine Beschreibung der Abenddämmerung am Donoper Teich ist schönstes Kino im Kopf:
„So lagen wir – leise entschwebte auf Eulenschwingen ob unserem Haupte die Zeit
– und langsam schritt vom Allhornsberg die Nacht.
Noch aber flammen die Kiefern im Abendglühen,
Der Ehberg sprüht in waberndem Schein,
Es loht der Wald von Feuerflüssen,
Die Blätter blitzen wie Edelstein;
Wie Kirchenfenster schimmert’s aus Tiefen…
In niemals ausgeschöpfter Pracht
Weist, als wenn ew’ge Wunder riefen,
Der Weltenkünstler seine Macht
Und nun gießt die Dämmerung ihre
schwarzen Fluten über das Land,
golden hebt sich im Osten der Mond…
seufzend verlassen wir die gastliche Stelle und wandern heim.“
Der Künstler hilft uns beim genauen Hinsehen
Alle Gemälde in diesem Artikel sind von Bruno Wittenstein und zugleich Ausdruck seiner Liebe für den, wie er ihn nannte, Wunderwald am Donoper Teich. Der besondere Wert von Wittensteins Beschreibung des Naturschutzparks im Teutoburger Wald besteht heute darin, dass er mit dem geschulten Auge des Künstlers über die Ursprünglichkeit dieser Landschaft berichtete, so wie er sie 1910 erlebt hatte und die wir heute so vermutlich gar nicht mehr wahrnehmen und beurteilen können, da es kaum Fotos aus dieser Zeit gibt. Uns fehlen die Vergleichsmöglichkeiten. Wenn wir also heute einen Wald betreten, ist uns zumeist gar nicht bewusst, wie er früher einmal in seiner ursprünglichen Form aussah, und worin die Unterschiede zwischen einem ursprünglichen und einem künstlichen Wald bestehen. Die Berichte früher Naturbeobachter wie Bruno Wittenstein helfen uns heute, die Veränderungen genauer und kritischer zu betrachten. Er hält uns vor Augen, dass wir viel verlieren können – nicht nur die Natur, sondern auch unsere Phantasie, die eng damit gekoppelt ist. Das Schlimmste wäre, wenn uns gar nicht mehr auffiele, was ein ursprünglicher Wald ist und was ihn ausmacht, schlicht aufgrund der Tatsache, dass es kaum noch ursprüngliche Wälder und Vergleichsmöglichkeiten gibt.
Auf Bruno Wittensteins Spuren
Wer nun Lust bekommen hat und die Erlebnisse von Bruno Wittenstein live nachvollziehen möchte, dem empfehlen wir eine Wanderung vom Donoper Teich zum Hiddeser Bent. Die Wanderroute beginnt am Parkplatz am Donoper Teich und führt dort zunächst zu den Erdhügelgräbern, anschließend zum See, dann entlang des Hasselbachs zum Krebsteich und schließlich zum Hochmoor. Spannend und modern finden wir den interaktiven GPS Klima-Erlebnispfad Hiddeseer Bent bereitgestellt von „Naturpark Teutoburger Wald / Eggegebirge“.
Danksagung
Besonderer Dank gilt Hubert Fricke, Kunstliebhaber aus Detmold-Hiddesen, der Texte und einige der Gemälde von Bruno Wittenstein ausfindig gemacht und für diesen Artikel zur Verfügung gestellt hat, sowie Dr. Stefan Wiesekopsieker vom Lippischen Heimatbund, der uns ebenfalls ermöglicht hat, ein wundervolles Gemälde von Bruno Wittenstein für diesen Artikel zu fotografieren und abzubilden.
Weitere Literatur
- Ein Naturschutzpark im Teutoburger Walde, Bruno Wittenstein, Niedersachsen, S. 88 – 90, 1911
- Das Naturschutzgebiet „Hiddeser Bent – Donoper Teich“ in vegetationsgeschichtlicher und pflanzensoziologischer Sicht, Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum für Naturkunde, Prof. Dr. L. Franzisket (Hrsg.), Westfälische Vereinsdruckerei, 4400 Münster, 1982
- Geschichte des Naturschutzgebietes «Donoper Teich – Hiddeser Bent», Kurt Rohlfs, Heimatland Lippe, Okt. 1984, S. 302 – 310
- Donoper Teich mit Hiddeser Bent
- Hiddeser Bent, GPS Klima-Erlebnispfad, Naturpark Teutoburger Wald / Eggegebirge
- Biologische Station Lippe, Naturschutzgebiet Donoper Teich – Hiddeser Bent
- Rundweg um den Zedling- Donoper Teich, Krebsteich, Hiddeser Bent und Hasselbachstausee
- Donoper Teich und Hiddeser Bent, Uwe Wittbrock
- Wo es in Deutschland noch richtige Wildnis gibt, GEO
- Kunstmaler Bruno Wittenstein – Er liebte die Natur und die schöne Einsamkeit, S. Teiwes, Webpage www.Treffpunkt-Teiwes.de, 13.12.2018
- https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Wittenstein